Krankheiten oder Unfälle können Menschen in lebensbedrohliche Zustände versetzen. Ihre bestmögliche Versorgung ist in der Rettungskette definiert. Julia Lux, Geschäftsstellenleiterin der Gesundheitsregionplus, hat mit Julian Linden, Leiter des Rettungsdienstes beim BRK Kreisverband Nordschwaben, über die Bedeutung der Rettungskette und Erste-Hilfe-Maßnahmen bei einem Herzstillstand gesprochen.
Herr Linden, was ist eine Rettungskette?
Julian Linden: Als Rettungskette bezeichnet man die ineinandergreifende Abfolge von Behandlungs- und Hilfeleistungsschritten bei einem Patienten, der sich in einem lebensbedrohlichen Zustand befindet. Die Rettungskette definiert damit den idealen Ablauf der Versorgung vom Zeitpunkt des Notfallgeschehens bis zur weiteren Behandlung im Krankenhaus. Sie besteht in der Regel aus 4 – 5 einzelnen Kettengliedern.
Das erste Kettenglied steht für die Sofortmaßnahmen, dazu gehört das Absichern der Unfallstelle und die Rettung aus der Gefahrenzone, je nach Notfall ist dies aber nicht immer notwendig. Das zweite wiederum beinhaltet den Notruf sowie die Sofortmaßnahmen. Beim dritten kommen erweiterte Erste-Hilfe-Maßnahmen hinzu, danach gilt der Rettungsdienst als viertes Glied und letztendlich ist das fünfte Glied dann die behandelnde Klinik.
Wie sieht die Rettungskette bei einem Herzstillstand aus?
Julian Linden: Der Herzstillstand als solches ist wohl das kritischste Notfallgeschehen, bei dem sich zeigt, dass bei der Rettungskette alle Elemente entscheidend sind und die Kette nur funktioniert, solange kein Glied missachtet wird.
Bei der Feststellung eines Herzstillstandes spielt die Zeit eine kritische Rolle, der Patient muss schnellstmöglich versorgt werden, denn jede Sekunde, in der das Herz stillsteht, ist für das Outcome, also die Überlebenswahrscheinlichkeit ohne enorme Folgeschäden, eine große Gefahr. Es sollte unverzüglich mit Sofortmaßnahmen begonnen werden, in diesem Fall die Herz-Lungen-Wiederbelebung.
Für die Weiterversorgung und ein schnelles Eintreffen des Rettungsdienstes sollte auch sofort ein Notruf abgesetzt werden, idealerweise passiert beides parallel, denn die Leitstelle, welche den Anruf der 112 entgegennimmt, hilft per Telefon dabei, die Wiederbelebung durchzuführen.
Die erweiterten Erste-Hilfe-Maßnahmen über die Herz-Lungen-Wiederbelebung beinhalten dann unter anderem das Hinzuziehen eines AED (Automatischer Externer Defibrillator), wie er in vielen öffentlichen Gebäuden oder Anlagen zu finden ist. Bei bestimmten Ursachen des Herzstillstandes ist dieser für das Überleben von zentraler Bedeutung.
Die Wiederbelebung muss durch die Ersthelfer bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes fortgeführt werden, dieser übernimmt dann die medizinische Versorgung und kann während der Durchführung einer professionellen Reanimation bereits erste Diagnosen vermuten und so einen Transport in eine geeignete Klinik beginnen, oft auch unter Weiterführung der Reanimation im Zusammenspiel mit weiteren Versorgungs- und Behandlungsmaßnahmen. Der Rettungsdienst übermittelt dann schon vorab wichtige Diagnosen an die Klinik, um eine direkte Weiterbehandlung zu ermöglichen.
Die Erste Hilfe umfasst die beiden ersten Kettenglieder „Sofortmaßnahmen“ und „Weitere Maßnahmen“. Wie wichtig sind diese beiden Kettenglieder für den weiteren Verlauf?
Julian Linden: Abhängig vom Notfallbild ganz enorm. Im Falle des Herzstillstandes sind das vielleicht sogar die wichtigsten. Die Überlebenschance ist bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand schon nach ein paar Minuten so weit gesunken, dass man nicht mehr von einer positiven Entwicklung ausgehen kann.
Eine schnell eingeleitete Herzdruckmassage kann das Blatt hingegen wenden, denn wenn dadurch die Funktion des Herzens nachgeahmt wird, sterben keine Körperzellen ab und medizinische Maßnahmen durch den Rettungsdienst oder die Klinik verlaufen oft um ein Vielfaches erfolgreicher.
Deshalb sind die ersten Minuten und damit die ersten Kettenglieder von entscheidender Bedeutung.
Welche konkreten Maßnahmen sollten bei einem Verdacht auf Herzstillstand geleistet werden?
Julian Linden: Zunächst sollte bei dem Verdacht eines Herz-Kreislauf-Stillstandes umgehend der Notruf abgesetzt werden, um die Rettungskräfte so früh wie möglich zu alarmieren. Über die Rettungsleitstelle erhält man vom Disponenten dann auch telefonisch Anweisungen und Hilfestellungen bis das Rettungspersonal eintrifft.
Optimalerweise holt man sich währenddessen mindestens eine weitere umstehende Person zur Hilfe, die gleichzeitig mit einer Herzdruckmassage beginnt. Wenn die reanimationspflichtige Person auf dem Boden liegt, lehnt man sich dazu über den Oberkörper der Person, die Handballen werden übereinandergelegt und mittig auf dem Brustkorb platziert und mit durchgestreckten Armen werden nun 30 Kompressionen ausgeführt. Wichtig ist hierbei, dass eine Drucktiefe von ca. 5 cm erreicht werden muss, um das Schlagen des Herzens adäquat nachahmen zu können.
Nach 30-mal drücken wird die Herzdruckmassage dann kurz unterbrochen für zwei Mund-zu-Mund-Beatmungen, um den Kreislauf der reanimationspflichtigen Person mit Sauerstoff zu versorgen. Die Wiederbelebungsmaßnahmen verlaufen dann immer in diesem 30:2 Schema so lange weiter, bis der Rettungsdienst eintrifft und den Patienten übernimmt.
Ganz wichtig ist hier auch noch einmal zu betonen, dass jede Hilfe wichtig und richtig ist. Bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand kann man keinen gravierenden Fehler machen – außer nichts zu tun.
Nachdem der Rettungsdienst die Transportfähigkeit des Patienten hergestellt hat, erfolgt der Transport in ein Krankenhaus. Wird der Patient dabei immer ins nächst gelegene Krankenhaus transportiert?
Julian Linden: Nicht unbedingt. Bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand ist die Ursache, warum es zu diesem Stillstand gekommen ist, für die Wahl des weiterbehandelnden Krankenhauses entscheidend. Manche Ursachen kann der Rettungsdienst direkt mit den auf den Fahrzeugen mitgeführten Medizinprodukten beheben, dann spricht dem Transport in das nächstgelegene Krankenhaus normalerweise nichts entgegen, bei anderen Ursachen hingegen ist der Transport in eine spezielle und eben eventuell weiter entfernte Klinik erforderlich, wenn man zum Beispiel bestimmte Geräte braucht, um den Patienten entsprechend behandeln zu können. Ist der Kreislaufstillstand beispielsweise durch ein kardiales Geschehen hervorgerufen worden, ist es sinnvoll, ein Krankenhaus mit einem Herzkatheterlabor anzufahren, da dort sowohl die benötigten medizinischen Geräte als auch das erforderliche Fachpersonal vorhanden ist.
Abschließende Frage: Wie gut funktioniert die Rettungskette Ihrer Erfahrung nach in der Praxis?
Julia Linden: Sehr gut, klar gibt es immer Ausnahmen und unvorhersehbare Hindernisse, im Großen und Ganzen ist bei uns in Bayern aber über Jahre ein sehr gutes System zur Notfallversorgung entstanden.
Durch eine Vielzahl an in Erster-Hilfe geschulten Personen haben wir gute Voraussetzungen für die ersten Kettenglieder. Ich denke zwar, dass hier noch am meisten Nachbesserungspotential besteht, aber die Tatsache, dass zum Beispiel jeder Führerscheinbesitzer mindestens einmal in seinem Leben professionell geschult wurde, ist schonmal eine solide Basis.
Auch bei den Kettengliedern der Profis (vier und fünf) stehen wir gut da. Nur ein Beispiel ist die Hilfsfrist, welche bei uns in Bayern beschreibt, dass ein Rettungsfahrzeug innerhalb von maximal 12 Minuten zum Ort des Notfallgeschehens gefahren sein muss. Diese Hilfsfrist ist gesetzlich festgelegt und gewährleistet schnellstmöglich eine kompetente Patientenversorgung. Bei einem ernsthaften Notfall und einem optimalen Zusammenspiel aller Kettenglieder kann man also davon ausgehen, dass dem Notfallpatient in kürzester Zeit eine wirklich gute Versorgung zukommt und um auf unser vorheriges Beispiel des Herz-Kreislauf-Stillstandes zurückzukommen, auch eine sehr hohe Überlebenschance erwartet werden kann.
Letztlich kommt es aber immer auf die Menschen an. Auf die Menschen vor Ort, auf deren Engagement, auf deren Courage und ich bin fest davon überzeugt, dass man sich so gut wie immer darauf verlassen kann, dass da alle ihr Bestes geben und dass den Menschen in Not in den allermeisten Fällen auch die benötigte Hilfe zukommt.
Vielen Dank für das Gespräch!